In der modernen Gesundheitsforschung wird immer klarer: Muskeln sind nicht nur für Bewegung und Kraft zuständig – sie sind ein regelrechtes „Stoffwechselorgan“ mit heilender Wirkung. Wenn wir unsere Muskulatur gezielt trainieren, schüttet der Körper sogenannte Myokine aus – hormonähnliche Botenstoffe, die über den Blutkreislauf viele positive Prozesse im Körper in Gang setzen.
Gerade in der Physiotherapie spielt dieses Wissen eine zunehmend wichtige Rolle: Denn Muskeltraining wird dadurch nicht nur zur Stärkung, sondern auch zur aktiven Therapieform bei einer Vielzahl von Beschwerden und Krankheitsbildern.
Was sind Myokine?
Myokine sind kleine Eiweißstoffe, die bei der Kontraktion von Muskeln freigesetzt werden. Sie wirken wie körpereigene Medikamente: Sie beeinflussen den Stoffwechsel, das Immunsystem, das Gehirn und die Reparaturmechanismen des Körpers. Diese Erkenntnis hat das Bild vom Muskel grundlegend verändert – vom Bewegungsorgan zum medizinisch wirksamen Akteur in der Therapie.
Positive Effekte von Muskeltraining und Myokinen in der Therapie:
1. Entzündungshemmung und Schmerzreduktion
Viele physiotherapeutische Patienten leiden an chronischen Schmerzen, etwa bei Arthrose, Rückenschmerzen oder rheumatischen Erkrankungen. Bestimmte Myokine wirken entzündungshemmend, was langfristig Schmerzen lindern kann – ganz ohne Medikamente. Ein Beispiel: Interleukin-6 wird bei Bewegung kurzfristig ausgeschüttet und wirkt in diesem Zusammenhang entzündungshemmend – im Gegensatz zu seiner chronisch erhöhten, schädlichen Form bei Bewegungsmangel.
Therapeutische-Relevanz:
Gezieltes Muskeltraining hilft, Schmerzen zu lindern und den Medikamentenbedarf zu senken.
2. Rehabilitation nach Operationen oder Verletzungen
Nach orthopädischen Operationen (z. B. Knie- oder Hüftprothesen) oder Verletzungen spielt der Muskelaufbau eine zentrale Rolle für die Wiederherstellung der Funktion. Myokine fördern dabei:
• die Zellregeneration
• die Gewebereparatur
• die Heilung von Knochen und Sehnen
Therapeutische Relevanz:
Aktive Therapieformen (wie funktionelles Krafttraining) können Heilungsprozesse biologisch beschleunigen.
3. Vorbeugung und Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Physiotherapie umfasst auch kardiologische Nachsorge und Prävention. Muskeltraining verbessert die Gefäßfunktion, senkt den Blutdruck und reduziert systemische Entzündungen – dank Myokinen wie IL-15 und Irisin.
Therapeutische Relevanz:
Kraft- und Ausdauertraining ist ein zentraler Bestandteil der kardiologischen Rehabilitation und sollte individualisiert eingesetzt werden.
4. Neurologische Rehabilitation und Demenzprophylaxe
Myokine wie BDNF fördern die Bildung und Verbindung von Nervenzellen. Sie verbessern die
neuroplastischen Fähigkeiten des Gehirns, also seine Fähigkeit zur Anpassung und
Reparatur – entscheidend etwa bei:
• Schlaganfallpatienten
• Parkinson-Erkrankten
• Menschen mit Demenz oder kognitiven Störungen
Therapeutische Relevanz:
Bewegungstherapie fördert gezielt kognitive Fähigkeiten und Gleichgewicht – und kann neurologische Symptome positiv beeinflussen.
5. Gesundes Altern und Erhalt der Selbstständigkeit
Im Alter drohen Muskelabbau (Sarkopenie), Sturzrisiko und Pflegebedürftigkeit. Muskeltraining erhält Mobilität, Balance und Eigenständigkeit. Myokine wirken gleichzeitig auf Knochen, Gehirn und Immunsystem – sie helfen also ganzheitlich dabei, gesund zu altern.
Therapeutische Relevanz:
Krafttraining ist die wirksamste Maßnahme gegen Sturzrisiken und altersbedingte Mobilitätsverluste – und gehört fest in die geriatrische Physiotherapie.
Fazit:
Muskeltraining ist Medizin – und Physiotherapie wird zur Myokin-Therapie.
In der Physiotherapie wird zunehmend klar: Aktive Bewegungstherapie ist mehr als Reha – sie ist präventive und regenerative Medizin. Myokine eröffnen neue therapeutische Perspektiven, die weit über Muskelkraft hinausgehen.
Sie erklären, warum aktive Patienten besser heilen, seltener erkranken und langfristig gesünder bleiben.
Für Patient:innen bedeutet das: Jeder Schritt, jede Wiederholung, jede gezielte Übung aktiviert das eigene Heilungspotenzial – ganz ohne Nebenwirkungen.
Muskeln sind unsere Verbündeten in der Therapie und Myokine höchst effektive und wirkmächtige Medikamente, die unser Körper nicht nur kostenlos selbst herstellt, sondern die darüber hinaus auch garantiert frei von schädlichen Nebenwirkungen sind.
Einziger Wehrmutstropfen: Die mannigfaltigen positiven Wirkungen der Myokine stellen sich nur bei einer aktiven Therapie ein, und nicht indem man auf einer Behandlungsbank liegt und die Physiotherapeutin, oder den Physiotherapeuten arbeiten lässt.